Das St. Galler Theater am Rand des Stadtparks ist ein unbestritten wichtiger Zeitzeuge der Brutalismus-Architektur. 1968 eingeweiht und vom Architekturbüro Paillard, Cramer, Jaray und Leemann geplant, gilt das Haus als Hauptwerk des Architekten Claude Paillard (1923–2004). Er war ein Meister der dreidimensionalen Architektur. Das zeigt sich im konsequent in Sechsecken geplanten Haus. Paillard legte das Hexagon als Grundform des Zuschauerraums fest und zog es als Gestaltungselement bis in die Details des Innenausbaus weiter.
Auch von seiner Lage im städtischen Umfeld ist der Bau von herausragender Bedeutung: Er steht als repräsentatives Gegenüber der Tonhalle, öffnet sich aber am Rand des Stadtparks. Zu den älteren Gebäuden an der Rorschacherstrasse ist er kleinteiliger gestaltet.
Bei der von den Stimmberechtigten des Kantons bewilligten und 2024 abgeschlossenen Sanierung des St. Galler Theaters ging es um technische Erneuerungen für den Betrieb und um die Schaffung zeitgemässer Arbeitsbedingungen. Dafür mussten mehr Flächen erstellt werden. Dabei hat das in einem Planerwahlverfahren ausgewählte St. Galler Architekturbüro Gähler, Flühler, Fankhauser nicht etwa einen separaten Neubau in heutiger Architektursprache entwickelt. Vielmehr liessen sie in der Nordwestecke einen kleinen Teil des bestehenden Gebäudes abbrechen und die Erweiterung nahtlos und in der Architektursprache des Originals bauen. Dies sei, so sagt Bernhard Fühler in der Baudokumentation, nicht nur eine interessante, sondern «eine ausserordentlich interessante Aufgabe» gewesen.
Die Sanierungsarchitektinnen und -architekten haben den Bau nicht nur subtil ergänzt, sie haben ihm auch wieder zur ursprünglichen Ausstrahlung verholfen. Dazu haben sie das lange Vordach abgebrochen, das Claude Paillard erst spät zum Projekt hinzufügte, weil der Zeitgeist damals einen wettergeschützten Zugang für die mit dem Auto vorfahrenden Besucherinnen und Besuchern verlangte. Der Theaterbau hat jetzt eine deutlich stärkere plastische Präsenz. Dreht man sich zur Tonhalle, so erklärt sich, was Claude Paillard damals wollte: Zwei prägenden Gebäude aus verschiedenen Zeiten, die miteinander «reden» und die jetzt an einem neuen Platz stehen.
Ein wichtiger Beitrag zum Erscheinungsbild des Brutalismus-Bau ist die sorgfältig restaurierte Betonfassade, die bei einer Sanierung 1999 einen monoton und flächig wirkenden Schutzanstrich bekommen hatte. Zentimeter für Zentimeter wurde dieser sogenannte Poren-Lunker-Verschluss mit Wasser-Jets abgetragen. So kam der beim Bau vor Ort gemischte Beton mit seinen unterschiedlichen Farben wieder ans Licht. Das Theater hat jetzt wieder seine originale, lebendig wirkende Sichtbetonfassaden.
Im Innern erleben Besucherinnen und Besucher das alte Haus. Alles ist unsichtbar technisch aufgefrischt und die Sitze mit nachgewobenen Stoffen neu gepolstert. Vor allem haben Künstlerinnen und Künstler und die Mitarbeitenden zeitgemässe Arbeitsräume bekommen.
Die Theatersanierung ist aussergewöhnlich, denn sie vertraut dem Bestand. Der Heimatschutz lobt diese Haltung, die Qualitäten erkennt, schätzt und stärkt und das sorgfältige, unaufgeregte und einfühlsame Weiterbauen pflegt. Dieser präzise und sorgfältige Umgang mit der St. Galler Architekturikone verdient die Auszeichnung mit dem «Goldenen Schemel» des Heimatschutzes St. Gallen /Appenzell Innerrhoden.
Goldener Schemel, Heimatschutz St. Gallen/Appenzell Innerrhoden
Der Heimatschutz St. Gallen/Appenzell Innerrhoden zeichnet mit dem goldenen Schemel Einzelpersonen, Gruppen, öffentliche Stellen und Institutionen aus, die sich in besonderem Masse für gute Baukultur einsetzen.