Heute gilt:
Art. 122, 3 PBG:
Unter Schutz gestellte Objekte dürfen nur beseitigt oder beeinträchtigt werden, wenn ein gewichtiges, das Interesse an der Erhaltung überwiegendes Bedürfnis nachgewiesen wird. Bei Schutzobjekten von nationaler oder kantonaler Bedeutung ist die Zustimmung der zuständigen kantonalen Stelle erforderlich.
Erläuterung zum heutigen Verfahren:
Die Gemeinde muss für ihren End-Entscheid den Teil-Entscheid des Kantons übernehmen.
Die Beurteilung erfolgt dreistufig:
- Welche Teile (innen, aussen) sind in der Substanz und Struktur zwingend zu schützen bzw. wo sind Änderungen möglich, ohne die denkmalpflegerischen Schutzziele zu beeinträchtigen?
- Erfüllen die geplanten Massnahmen andere gewichtige (überwiegende) öffentliche oder private Interessen und stehen damit dem öffentlichen Interesse am Schutz konkurrierend gegenüber?
- Wurde eine geeignete sowie die mildeste Massnahme zum Erhalt der Schutzziele eines Objekts gewählt und ist diese für die Eigentümerin oder den Eigentümer zumutbar bzw. verhältnismässig?
Neu ist vorgeschlagen:
Art. 122, 3 PBG:
Unter Schutz gestellte Objekte dürfen nur beseitigt oder beeinträchtigt werden, wenn ein gewichtiges, das Interesse an der Erhaltung überwiegendes Bedürfnis nachgewiesen wird. Bei Schutzobjekten von nationaler oder kantonaler Bedeutung ist die Zustimmung der zuständigen kantonalen Stelle erforderlich. (Der letzte Satz soll gestrichen werden.)
Art. 122, 4 PBG (neu):
Die zuständige Stelle der politischen Gemeinde bezieht die zuständige kantonale Stelle bei Entscheiden nach Abs. 3 dieser Bestimmung rechtzeitig in das Verfahren ein, wenn Objekte von nationaler oder kantonaler Bedeutung betroffen sind. Sie eröffnet der zuständigen kantonalen Stelle ihre entsprechenden Entscheide.
Art. 157a (neu) PBG:
Die zuständige kantonale Stelle kann gegen Entscheide der politischen Gemeinden zur Beseitigung oder Beeinträchtigung von Schutzobjekten von kantonaler oder nationaler Bedeutung Rekurs (…) und Beschwerde (…) erheben.
Die Streichung des zweiten Satzes im Artikel 122 wollten unter anderem Hauseigentümer-Kreise schon bei der Beratung des aktuellen PBG erreichen. Damals noch ohne Erfolg. Jetzt will dies die VSGP erreichen.
Die aktuelle Problematik liegt bei der Frage, ob es sich bei einem Objekt um ein lokales oder um ein kantonales Kulturobjekt handelt. Bis zur Erneuerung der kommunalen Schutzplanungen und Inventare ist dies durch die Gemeinden ohne Konsultation der kantonalen Fachstelle nicht eindeutig feststellbar.
Bei kantonal und bundesrechtlich geschützten Objekten soll künftig zwar der «Verfahrenseinbezug» des Kantons gelten, kombiniert mit einem Rekurs- und Beschwerderecht der kantonalen Denkmalpflege, resp. des Amtes für Kultur. So könne der Kanton «im Notfall» (Zitat aus der Botschaft) eingreifen.
Doch diese neue Regelung steht im Konflikt mit dem eidg. Natur- und Heimatschutzgesetz, denn Objekte unter Bundesschutz stehen ausdrücklich unter Obhut der Kantone. Die neue Regelung, dass Gemeinden über den Umgang mit national geschützten Objekten entscheiden können, ist wahrscheinlich bundesrechtswidrig und/oder verstösst gegen die Granada-Konvention, die Standards für den Denkmalschutz vorschreibt. Das Bundesgericht hat in einem anderen Fall ein kantonales Gesetz für ungültig erklärt, die diesen Standard unterschreiten (Kt. Zug). Entsprechende rechtliche Abklärungen laufen.
Die Schutz- und Fachverbände haben die Abteilung Baukultur des Bundesamtes für Kultur (BAK) und die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission über die beabsichtigte Gesetzesänderung informiert. Stellungnahmen stehen noch aus.
Ordnungspolitisch und kulturpolitisch ist die Revision ein grober Fehlentscheid. Die Kantonsverfassung bestimmt in Artikel 11 zur Kultur: «Der Staat setzt sich zum Ziel, dass (…) kulturelles Erbe bewahrt und überliefert wird.»
Eine Regelung, die festhält, dass eine untere Staatsebene über Schutzobjekte der oberen Ebene entscheidet, ist ordnungspolitisch falsch.
Der abtretende VSGP-Präsident Boris Tschirky sagte im «St.Galler Tagblatt» vom 16.11.2021: «Wir sind kein Verschiebebahnhof, was die Staatsebene betrifft». Umso mehr stellt sich die Frage, warum die VSGP trotzdem in die staatspolitische Ordnung eingreifen will? Man wird den Verdacht nicht los, dass die Gemeinden jenen Bereich übernehmen wollen, bei dem sie die Aufgabenerfüllung nicht gemacht haben. Unter dem Motto: wenn wir selbst dafür verantwortlich sind, dann haben wir keine Bringschuld mehr und niemand kann uns verpflichten, die Schutzinventare endlich zu erlassen.
Der Vorschlag kommt von der VSGP (der Vereinigung St.Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten). Dabei handelt es sich um einen Verein der hier «durchregiert». Der VSGP-Vorstand ist aber nicht repräsentativ für alle Mitglieder von denen mehrere auf diese neue Kompetenz verzichten. Denn die Gemeinden laden sich damit eine hohe Verantwortung auf. Der Heimatschutz SG/AI hat der VSGP entsprechende Frage gestellt – bisher aber darauf aber keine Antwort erhalten.
Die Gemeinden haben ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht. Sie arbeiten noch an den Schutzinventaren. Viele der Inventare erfassen Bauten erst bis zirka 1920. Nachführungen sind dringend.
Die Gemeinden können über lokale Schutzobjekte ganz allein entscheiden. Der Kanton muss hier weder beigezogen werden, noch hat er eine Rekursmöglichkeit. Wie soll das möglich sein, wenn sich sehr viele Gemeinden schon heute nicht oder ungenügend dieser gesetzlichen Aufgabe annehmen?
Bisher hat noch keine St.Galler Gemeinde ein rechtsgültiges Reglement für Denkmalpflegebeiträge – auch nicht für lokale Schutzobjekte. Das müssten sie aber laut Gesetz schon längst haben. Wie erklärt es sich, dass Gemeinden in diesem Bereich mehr Verantwortung übernehmen wollen, obwohl sie bewiesen haben, dass sie der Aufgabe laut Gesetz nicht gewachsen sind?
Der Kanton äussert gegenüber den Gemeinden die Erwartung, dass sie – sofern noch nicht vorhanden – das notwendige Know-how für die ihnen neu zukommende Aufgabe und damit verbundene Hauptverantwortung sicherstellen. Das ist dringend, denn nur die Stadt St.Gallen hat bisher eine eigene Fachstelle für Denkmalpflege. Rund zehn weitere Gemeinden haben Stadtbildkommissionen (oder ähnliche Fachgruppen), die über die nötige Kompetenz verfügen. Rund 30 Gemeinden arbeiten mit Bauberaterinnen und -Beratern im Mandatsverhältnis. Diese verfügen aber nur selten über die denkmalpflegerische Fachkompetenz. Weitere rund 30 St.Galler Gemeinden entscheiden meist nach eigener Einschätzung. Kommt dazu, dass in der Mehrzahl der Gemeinden die Inventare über die geschützten Objekte entweder veraltet, lückenhaft oder noch gar nicht vorhanden sind. Hier führt dann mitunter die «Verbandelung» von Bauwilligen und Gemeindepolitikerinnen und -politikern zu fragwürdigen Eingriffen an schützenwerten Objekten – in Einzelfällen gar zu Abbrüchen.
Die kantonale Denkmalpflege hat heute noch sehr viele Gesuche zu beurteilen, weil die lokalen Schutzinventare nicht nachgeführt oder nicht in Kraft sind. Aktuell landen rund 1000 Gesuche pro Jahr bei der kantonalen Fachstelle. Fast alle sind unproblematisch, denn nur bei ca. 90 Gesuchen wird eine Beeinträchtigung eines Objekts festgestellt. Und nur 10 Gesuche erhalten keine Zustimmung von der kantonalen Denkmalpflege. Aber in 20 bis 25 Fällen hätten heute die Gemeinden anders entschieden als der Kanton.
Der Kanton macht damit heute de facto den Job, den die Gemeinden machen müssten. Die Gemeinden sollten sich also nicht darüber beklagen, dass sie entsprechende Baugesuche der kantonalen Denkmalpflege vorlegen müssen. Dies wird nach heutiger Regelung unnötig, sobald die lokalen Inventare nachgeführt und rechtskräftig sind.
Weil die kantonale Denkmalpflege von den Gemeinden mit Gesuchen bedient werden, die fachlich ungenügend sind, ist diese Amtsstelle überlastet. Dies führt zu Kritik aus der Bauszene. Statt die kantonale Denkmalpflege mit genügend Ressourcen auszustatten, will man ihr die Aufgabe faktisch wegnehmen.
Der bekannte Kunst- und Kulturwissenschafter Peter Röllin äusserte sich dazu in seiner Vernehmlassung zu diesem Gesetzesnachtrag so: «Das Ansinnen deklassiert de facto die kantonseigene Denkmalpflege in eine Art «Anwaltskanzlei» zur Verteidigung der Baukultur und des baukulturellen Erbes gegenüber den in diesen Belangen nicht immer kompetenten Gemeindestellen.»
Was passiert, wenn es eine Gemeinde in Zukunft unterlässt, die massgebenden Entscheide der kantonalen Stelle zu eröffnen? Diese werden dann laut Botschaft «lediglich hinkend rechtskräftig». Die kantonale Stelle kann dann – sobald sie von der Bewilligung Kenntnis erlangt – den Gemeindeentscheid auch nachträglich anfechten. Sollte dann die kantonale Denkmalpflege recht bekommen, wäre – so die Botschaft – «die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands – soweit noch möglich – zu prüfen bzw. zu verfügen». – Die Formulierung «soweit noch möglich» lässt schlimmstes befürchten. Es könnte Fälle geben, wo jede Beschwerde oder jeder Rekurs zu spät kommt, weil ein Objekt bereits zu stark beeinträchtigt oder gar abgebrochen ist.
Die Bevölkerung steht mehrheitlich für einen starken Schutz der Denkmäler ein. Sie verteidigt die Ortsbild-prägenden und identitätsstiftenden Bauten und Naturschönheiten.
Die kantonale Denkmalpflege St.Gallen hat im interkantonalen Vergleich sehr wenig Stellenprozente – nur 360 Prozent eigentliche Fachstellen. Die Vergleichskantone Luzern und Aargau sind besser ausgestattet und der Nachbarkanton Thurgau hat fast doppelt so viele Denkmalpflegerinnen und -pfleger wie St.Gallen.
Zusätzlich zur schwach dotierten Denkmalpflege kann auch der Heimatschutz nicht viel ausrichten, denn er hat im Kanton St.Gallen kein Verbandsbeschwerderecht mehr. Gesamtschweizerisch gibt es nur in 7 Kantonen dieses Verbandsbeschwerderecht für den Heimatschutz nicht oder nicht mehr: in Uri und Schwyz, in beiden Appenzell, in Graubünden und im Wallis – und eben auch im Kanton St.Gallen.
Gemeinden fehlt – wie einleitend erklärt – oft das Know-how zur Beurteilung der Fachfragen – gerade auch bei den aktuell häufigen Solar-Panel-Gesuchen. Oft sind die Gemeindeentscheide von der Bauwirtschaft beeinflusst.
Den kommunalen Bewilligungsbehörden ist aus naheliegenden Gründen eine rechtsgleiche und fachlich übergeordnete Behandlung von kantonalen und nationalen Kulturobjekten nicht möglich.
Es drohen Verluste von wichtigen Zeugen, auch weil Gemeindebehörden selten wagen, sich mit Grundeigentümern anzulegen.
Das neu vorgeschlagene Rekursrecht des Kantons bedeutet, dass letztlich Richter (ohne denkmalpflegerische Fachkenntnisse) über Schutzobjekte bestimmen. Gerechnet wird mit rund 10 Rekursfällen pro Jahr.
Das St.Galler Kulturerbegesetz von 2017 regelt die denkmalpflegerischen Verantwortlichkeiten zwischen Kanton und Gemeinden. Die Beiträge an denkmalpflegerische Massnahmen an kantonalen und nationalen Objekten werden danach vom Kanton geleistet. Gleichzeitig sollen die Beiträge an lokal bedeutende Objekte von den Gemeinden übernommen werden. Diese Aufteilung der Lasten widerspricht diametral der vorgesehenen neuen Aufteilung der Kompetenzen. Künftig sollen die Gemeinden über den Umgang mit allen Kulturobjekten bestimmen, doch der Kanton finanziert dann Eingriffe an den kantonal und national bedeutenden Objekten. Kanton und Bund zahlen Beiträge an denkmalpflegerische Massnahmen, also müssen diese Stellen auch inhaltlich mitentscheiden können.
Wenn im Beschwerde- oder Rekursfall die Gerichte Gutachten erstellen lassen, werden die Verfahren länger dauern und vor allem teurer.
Laut Denkmalstatistik gibt es im Kanton St.Gallen 3‘983 geschützte Baudenkmäler, davon sind 77 von nationaler Bedeutung, 268 sind Sakralbauten. Insgesamt machen diese knapp 4000 Denkmäler nur 2 bis 3 Prozent des Gebäudebestandes aus. (Gesamtschweizerische steht die Hälfte aller Baudenkmäler in fünf Kantonen: VD, FR, GE, BE und AG).
Geschützte Ortsbilder gibt es laut ISOS im Kanton St.Gallen total 248. Davon sind 62 von nationaler, 70 von regionaler Bedeutung, 116 von lokaler Bedeutung.
Abgebrochene oder bedrohte Schutzobjekte in St.Gallen
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Kanton St.Gallen